Wissenschaft und Anwendung
Von Lorraine Ramig, Ph.D., CCC-SLP, Cynthia FOX, Ph.D., CCC-SLP, und Becky Farley, Ph.D., PT
„Wenn man nicht laut genug spricht – dann hört niemand mehr zu.“
„Ich habe keine Stimme, ich habe kein Leben.“
Dies sind zwei Zitate von Menschen, die mit der Parkinson-Erkrankung leben. Die Zitate zeigen die verheerende Auswirkung, die eine Sprech- und Stimmstörung auf die Lebensqualität eines Menschen haben kann. Die beiden Personen stehen damit nicht alleine da. Untersuchungen zeigen, dass bei 89 Prozent der Menschen mit Parkinson Sprech- und Stimmstörungen auftreten.
Dazu gehören eine leise Stimme, monotones Sprechen, eine überhauchte oder raue Stimmqualität und eine ungenaue Artikulation (Aussprache der Buchstaben).
Dies führt dazu, dass Menschen mit Parkinson – im Vergleich zu gleichaltrigen Gesunden – sich seltener an Gesprächen beteiligen und sich bei gesellschaftlichen Anlässen unsicherer fühlen.
Über Jahre hinweg galten Sprech- und Stimmstörungen bei Menschen mit Parkinson als behandlungsresistent. Die Erfolge einer konventionellen Behandlung waren weder signifikant noch andauernd. Die Erkenntnis, dass die logopädische Therapie speziell auf die Probleme von Parkinsonpatienten zugeschnitten werden könnte, führte zu der Entwicklung einer Methode, die darauf abzielte, die Lautstärke zu verbessern: das ist die Methode des Lee Silverman Voice Treatment LSVT®LOUD – [„Lee Silverman“ ist ein Name, „Voice Treatment“ steht für Stimmtraining]. Diese Therapieform hat vielen Parkinsonpatienten mit Sprechproblemen geholfen, hat ihnen Hoffnung gegeben und die Verständigung bei der Arbeit, in der Familie und bei sozialen Aktivitäten verbessert.
Es gibt mehrere Gründe, warum Menschen mit Parkinson leiser sprechen, monotoner und mit rauer, überhauchter Stimme. Ein Grund liegt direkt in der motorischen Beeinträchtigung (Beeinträchtigung der Bewegungen) bei Parkinson. Dazu gehören Steifigkeit, langsame, kleine Bewegungen und der Tremor. So kann beispielsweise die unangemessene Muskelaktivierung, welche die Bradykinese (verlangsamte Bewegung) und die Hypokinese(kleine Bewegung) in den Extremitäten verursacht, auch eine Sprechstörung auslösen. Beim
Sprechen kann eine Veränderung der Muskelaktivierung zu eingeschränkten Bewegungen der Atemmuskulatur (reduzierte Atemunterstützung), des Kehlkopfs (reduzierte Stimmkraft) und bei der Artikulation (reduzierte Deutlichkeit des Sprechens) führen.
Eine weitere Ursache für Sprech- und Stimmstörungen bei Parkinson liegt in einem Wahrnehmungsdefizit für das eigene Sprechen. Klinische Beobachtungen zeigen, dass Menschen mit Parkinson vermutlich gar nicht merken, dass sie zunehmend leiser sprechen und nicht verstanden werden. Wenn „leise sprechende“ Personen darauf angesprochen werden, antworten sie häufig “Nein! Mein Partner beschwert sich dauernd darüber, aber er/sie benötigt ein Hörgerät!“ Es gibt einen weiteren Hinweis auf die Wahrnehmungsproblematik: Wenn man diese Menschen dazu bringt, in normaler Lautstärke zu sprechen, beschweren sie sich, weil sie es so empfinden, als würden sie rufen oder schreien. Dabei werden sie vom Zuhörer als angemessen laut empfunden.
Eine dritte Ursache für die Sprech- und Stimmstörung beruht darauf, dass Menschen mit Parkinson Schwierigkeiten haben, selbst die angemessene Lautstärke zu initiieren. Das bedeutet, sie können auf eine Aufforderung von außen – einen externen Reiz (z.B. eine Anweisung von jemandem: „sprechen Sie laut“) – angemessen reagieren. Aber die Fähigkeit von sich aus – auf einen internen Reiz hin – laut zu sprechen, ist beeinträchtigt.
Diese Probleme können sowohl für die betroffenen Personen als auch deren Familien frustrierend sein. Die Patienten empfinden, dass sie laut genug sprechen und verstehen nicht, warum sie dauernd aufgefordert werden, ihre Äußerungen noch einmal zu wiederholen. Und weil die Lautstärke auf einen externen Reiz reagiert, sprechen die Betroffenen manchmal leise und manchmal laut. Dadurch erscheint es den Familienangehörigen so, als könnten die Patienten lauter und deutlicher sprechen, wenn sie sich nur mehr anstrengen würden.
Diese Probleme in der Bewegung, der Wahrnehmung und der Initiierung führen dazu, dass die herkömmliche logopädische Therapie bei Menschen mit Parkinson nur schwer greift. Über Jahre hinweg glaubte man, dass Menschen mit Parkinson ihr Sprechen zwar innerhalb der Therapie verbessern können, dass diese Verbesserungen jedoch bereits „auf dem Weg zum Auto“ wieder verloren gehen.
„Meine Stimme lebt wieder!“ – Aussage eine Person mit Parkinson, aus Denver, CO
Über die letzten 15 Jahre hinweg wurden mit Unterstützung durch das „Nationale Institute for Deafness and other Communication Disorders, NIDCD“ (Staatliches Institut für Taubheit und andere Kommunikationsstörungen) der „National Institutes of Health“ (Staatliche Institute für Gesundheit) eine Vielzahl an Studien durchgeführt. Diese Studien haben gezeigt, dass LSVT LOUD eine effektive Behandlung des Sprechens für Patienten mit Parkinson ist.
Diejenigen, die diese Therapie erhalten haben, konnten die Lautstärke ihrer Stimme, die Sprechmelodie und die Stimmqualität verbessern. Die Verbesserungen dauerten bei regelmäßiger Auffrischung bis zu 2 Jahre nach der Behandlung an. Vor kurzem durchgeführte Studien konnten zudem die
Effektivität dieser Therapie bezüglich anderer häufiger Probleme nachweisen: es zeigten sich gute Erfolge bei der undeutlichen Aussprache, dem reduzierten Gesichtsausdruck und den Schluckproblemen. Außerdem haben zwei Studien mit bildgebenden Verfahren belegt, dass nach der Therapie positive Veränderungen im Gehirn zu beobachten sind.
LSVT LOUD steigert die Lautstärke der Stimme durch systematische, hierarchisch
strukturierte Übungen für den Kehlkopf und die am Sprechen beteiligten Muskeln. Durch die Behandlung mit dem Fokus auf einem einzigen Ziel – „LAUT sprechen!“ – werden die Atmung, die Stimmgebung und die Artikulation verbessert. Dadurch wird die Verständlichkeit optimiert. Allerdings sind Rufen oder Schreien keine Übungsziele. Vielmehr nutzt diese Therapieform das Training der Lautstärke dazu, die Stimmleistung ohne unangemessene Kraftanstrengung auf ein gesundes Lautstärkeniveau anzuheben.
Das Trainingsprogramm wird in 16 Therapieeinheiten innerhalb eines Monats durchgeführt (vier Einzelbehandlungen á 60 Minuten pro Woche). Diese Form der Durchführung – sehr viel intensiver als es bei der herkömmlichen Therapie der Fall ist – stimmt sowohl mit Theorien zum Erlernen von Bewegungsabläufen und zum Erwerb von Fähigkeiten überein, als auch mit den Grundlagen der neuronalen Plastizität (darunter versteht man die Fähigkeit des Nervensystems, sich als Reaktion auf Reize zu verändern). Das beschriebene Vorgehen
ist wesentlich für einen optimalen Behandlungserfolg. Zusätzlich zur Stimulierung der am Sprechen beteiligten Muskeln beinhaltet die Therapie die Schulung der Eigenwahrnehmung.
Diese hat mehrere Ziele: sie soll Menschen mit Parkinson helfen zu erkennen, dass sie zu leise sprechen; sie soll die Betroffenen überzeugen, dass sie mit normaler Lautstärke sprechen, wenn sie lauter sprechen; sie dient der Gewöhnung an die neue, lautere Stimme.
Den Patienten wird beigebracht, von sich aus – also durch interne Zielsetzung – laut genug zu sprechen, um verständlich zu sein. Auch wenn LSVT LOUD bei Menschen mit unterschiedlichsten Schweregraden der Erkrankung bereits erfolgreich durchgeführt wurde, so war es doch bei denen mit leichter oder mittlerer Beeinträchtigung am effektivsten.
LSVT LOUD ist inzwischen weltweit eine Standardbehandlung. Weltweit – in 40 Ländern – gibt es Therapeuten, die von LSVT Global trainiert wurden und ein Zertifikat erworben haben, um die Behandlung so durchzuführen, wie sie standardisiert und getestet wurde.
Wenn Sie Veränderungen beim Sprechen oder in Ihrer Stimme feststellen, dann sagen Sie es unbedingt Ihrem Arzt. Bitten Sie ihn um ein Rezept für eine logopädische Untersuchung und Behandlung. Wenn Sie keine Veränderungen beim Sprechen bemerkt haben, aber ein Angehöriger, Nachbar oder Freund – dann schenken sie demjenigen Gehör. Ein Aspekt der Sprechstörung beruht darauf, dass eine Person mit Parkinson die Veränderungen im Sprechen und in der Stimme nicht bemerkt. Je früher Sie logopädisch untersucht werden und mit der Therapie beginnen, umso besser.
Sprechstörungen können die Lebensqualität einer Person mit Parkinson zunehmend beeinträchtigen. LSVT LOUD ermöglicht es den Menschen mit Parkinson, sich direkt an ihrer eigenen Behandlung aktiv zu beteiligen und einen wesentlichen Aspekt ihres Lebens, die Kommunikationsfähigkeit, zu kontrollieren. Je früher eine Person mit Parkinson eine logopädische Untersuchung und Therapie erhält, umso größer ist die Chance, dass die
Kommunikationsfähigkeit bei fortschreitender Erkrankung erhalten bleibt. Die Kommunikation ist für die Lebensqualität von sehr großer Bedeutung und hilft den Menschen mit Parkinson, ihr Selbstvertrauen zu bewahren und ein positives Selbstwertgefühl im Umgang mit den Herausforderungen ihrer Erkrankung zu entwickeln.
Websites:
www.lsvtglobal.com
www.lsvtc.de
Gisela Waldschmidt
staatlich anerkannte Logopädin, LSVT LOUD zertifiziert